Der Künstler Cibo kämpft in seiner Heimat Verona gegen Faschisten – mit bunten Bildern von Essen. Ein Widerstand, der viel ernster ist, als er aussieht.
Text: Margherita Bettoni, Johannes Mitterer | erschienen in: JWD #11
Widerstand kennt viele Farben und Formen, aber selten ist er so bunt wie bei Cibo: rosa Würste, gelbe Paprika, grüner Basilikum, lila Cupcakes in türkisen Förmchen, so sehen die Mittel aus, mit denen Cibo gegen Faschismus kämpft. Mittel, die er noch viel zu oft einsetzen muss, das zeigt sich schon in seiner Garage, die man seine Einsatzzentrale nennen kann, weil es durchaus Einsätze sind, auf die sich Cibo hier vorbereitet. Sorgsam, sonst kann es auch gefährlich werden.
In der Ecke stapeln sich die Sprühdosen, nach Farben sortiert oder nach Speisen in Kartons verpackt und beschriftet, falls es mal schnell gehen muss: “Peperoncini”, “Kürbis”, “Kastanien”. An der Wand hängen Landkarten mit den Gemeinden San Giovanni Lupatoto, Zevio, Raldon, alles Vororte von Verona. Sie sind das Kerngebiet von Cibo. Schwarze Punkte markieren, wo er schon tätig wurde.
Der Street-Artist Cibo, ausgesprochen “Tschibo”, italienisch für Essen, ist ein drahtiger Mann mit kahlem Kopf, Dreitagebart und kräftigen Unterarmen. Vor vier Jahren hat Cibo, bürgerlich Pier Paolo Spinazzè, 38 Jahre alt, angefangen, Nazischmierereien wie Hakenkreuze, Runen und Hassbotschaften mit Essensbildern zu übersprühen.
Er führt einen Kampf um die Wände, Mauern und Verteilerkästen seiner Heimatprovinz Verona, um den öffentlichen Raum, den er nicht den Rechten überlassen möchte. Sein Kampf hat ihm schon Bedrohungen und Anzeigen eingebrockt, aber er führt ihn selbstbewusst: “Talent zu haben und es nicht einzusetzen ist so, als hätte man einen Flammenwerfer und würde damit Zigaretten anzünden”, sagt Cibo.
Um halb elf Uhr morgens, Cibo hat sich seinen Strohhut aufgesetzt und einen Schal aus rosa Stoffwürsten umgelegt, fährt er los. Unterstützer haben ihn auf mehrere Schmierereien um den Bahnhof im Ort San Bonifacio hingewiesen. Vier dieser Stellen ist er vorab schon einmal abgefahren, um zu prüfen: Gibt es Kameras? Welche Leute hängen dort herum? Welches Design könnte passen? Sein Konzept für das große Werk des Tages: “Wurstel con Crauti”, Würste mit Kraut, weil das uns Besuchern aus Deutschland doch gefallen müsste.
Sprayen und Street-Art sind Kunstformen, die in Nächten geboren wurden, illegale Tätigkeiten, groß geworden im Schutz der Dunkelheit. Doch für Cibo ist Dunkelheit kein Schutz, sondern Gefahr. Nachts will er keinen Nazis über den Weg laufen. Und verstecken will er sich sowieso nicht.
Juristisch gesehen bewegt er sich in einer Grauzone. In Italien verbietet das “Gesetz Mancino” Slogans und Symbole, die faschistischer oder rassistischer Natur sind. Indem Cibo solche Slogans und Symbole übersprüht, handelt er im Sinne dieses Gesetzes. Andersrum macht er sich der Sachbeschädigung schuldig, wenn er ohne Erlaubnis öffentliche oder private Flächen bemalt. Diese Abwägung soll später am Tag auch noch die Polizei beschäftigen.
Die “schwarze Stadt”
Verona Cibo hat sich jetzt vier Kelten- und Hakenkreuze am Pfeiler einer Unterführung vorgenommen. Als Erstes fotografiert er die Schmierereien, so kann er später beweisen, dass er nicht ohne Grund gesprüht hat. Er stellt ein gelbes Schild auf, das vor frischer Farbe warnt. Dann legt er los, sprüht erst grobe Formen, füllt die Flächen, zieht Konturen nach, er verliert keine Zeit, unterbricht nur, um die Gopro umzustellen, die ihn bei der Arbeit filmt. Keine 15 Minuten später setzt er mit runden, flüssigen Bewegungen seinen Namen neben vier bunte Cupcakes. “70 Prozent meiner Instagram-Follower sind Frauen”, sagt er, “die mögen süße Sachen.”
Weitere 20 Minuten danach hat er an der Mauer eines Parkplatzes den Schriftzug “Antifa Sack Pisse” und ein Hakenkreuz mit Würsten überdeckt. Immer, wenn er fertig ist, lässt er die Sprühdose einige Salti schlagen und freut sich mit kindischem Lachen darüber, wie er wieder ein paar Rechte geärgert hat. Cibo ist Linker, aber er hat verstanden, wie er die Mitte erreicht. “Street-Art auf dem Land ist schwierig”, sagt er, aber das Essensmotiv sei für alle zugänglich. Essen ist der Stolz der Italiener, es ist emotional, und eine Wurst oder Pizza erkennt man auch im Vorbeifahren. Die Leute schätzen, dass er Hass und Hässlichkeit in etwas Schönes für die Gemeinde verwandelt. Auf Instagram funktionierten die bunten Speisen selbstredend.
Man kann schon sagen, dass sich Cibo auch klug vermarktet. Aber es wirkt ehrlich, wenn er erzählt, dass er das so nicht geplant hatte. Er stamme aus einem unpolitischen Haushalt, gemalt habe er schon früh, als erstes auf die Wände seines Kinderzimmers. Später hat er ein Kunstgymnasium besucht und Industriedesign studiert.
Als Jugendlicher war er in der Punkszene unterwegs und kam darüber zum Sprayen. 2008 wurde einer seiner Freunde in Verona von Rechten zusammengeschlagen, 72 Stunden später starb er an einer Gehirnblutung. “Da verstand ich: Ich bin allein”, sagt Cibo. Sein Widerstand begann.
Um zu verstehen, wie viel Mut diese Entscheidung erfordert, muss man sich das Umfeld ansehen: Von italienischen Linken in Anlehnung an die Farbe der Faschisten auch “schwarze Stadt” genannt, war Verona eines der Verwaltungszentren der Italienischen Sozialrepublik, ein faschistischer Satellitenstaat der Deutschen unter Führung Mussolinis. Dieser Geist weht bis heute durch die Straßen.
Im Fußball etwa. 1996 erhängten Ultras des Fußballvereins Hellas Verona im Stadion eine schwarze Puppe, um gegen die Verpflichtung eines dunkelhäutigen Spielers zu protestieren. 2014 wurden bei einem ihrer Sommerfeste Autos in Hakenkreuzformation geparkt. Oder in der Politik. Flavio Tosi, Veronas Bürgermeister von 2007 bis 2017, trat mit einer Wahlliste an, auf der ein Vertreter der örtlichen Skinhead-Szene und ehemaliges Mitglied einer Nazi-Band stand. 2017 übernahm Federico Sboarina das Amt, er führt eine Koalition aus rechten Parteien und Listen. Seinen Wahlsieg feierte er in einem T-Shirt der Marke “Old School Verona”, die bei radikal-rechten Ultras beliebt ist.
Dazu hat vor Kurzem der aus Verona stammende italienische Familienminister Lorenzo Fontana vorgeschlagen, das “Gesetz Mancino” gegen faschistische Symbole abzuschaffen. Globalisten würden es ausnutzen, um ihren anti-italienischen Rassismus als Antifaschismus zu tarnen. Innenminister Matteo Salvini erklärte sich einverstanden.
“In Sachen Arschlöcher spielt Verona in der Major League”, sagt Cibo, und seit die neue Regierung im Amt ist, spüre er deutlich, dass sich die Rechten im Aufwind fühlen. Cibos Kunstwerke wurden von Anfang an übermalt. Er wurde mehrfach mit dem Tod bedroht. Zuletzt wurden im Dezember der Zaun und das Klingelschild seiner Eltern mit Farbe beschmiert, im Briefkasten lag ein Drohbrief. Da wurde es Cibo zu viel, er tauchte für einen Monat nach Thailand ab. “Woanders als in Verona könnte ich meine Arbeit nicht so erfolgreich machen”, sagt er heute. Es ist ein Scherz, bei dem einem das Lachen im Hals stecken bleibt.
Für das große Werk des Tages hat er sich ein etwa sechs Meter breites, drei Meter hohes Eisentor an einer Straße am Bahnhof vorgenommen. “White Pride” steht darauf, Hakenkreuze, eine Wolfsangel. Perfekter Untergrund für Würstel mit Kraut.
Wieder zieht er mit fließenden Bewegungen die ersten Linien auf das Tor. Er wird gut eine Stunde beschäftigt sein und dabei nicht unbemerkt bleiben. Schon nach wenigen Minuten stoppt eine junge, blonde Frau bei ihm, fragt, was hier vor sich gehe, macht ein Foto, zieht weiter. Ein Auto hält an, eine junge, dunkelhaarige Frau ruft durch das offene Fenster: “Bist du Cibo? Bravo!” Ein Vater und sein Sohn steigen vom Fahrrad, sehen lange zu. Der Junge sagt, er wolle auch einmal Sprayer werden. Cibo blickt jedem Passanten gleich in die Augen, grüßt offensiv, auch um einschätzen zu können, wen er vor sich hat. Für Interessierte nimmt er sich Zeit, erklärt, was er macht, oder verschenkt einen seiner Buttons, die auf seinem Strohhut stecken. Tagsüber, so scheint es, hat die Gemeinde ihren auffälligsten Straßenkünstler schätzen gelernt.
So weit würde Attilio Gastaldello, Bürgermeister in Cibos Heimatgemeinde San Giovanni Lupatoto, nicht gehen. Wir haben ihm einige Fragen geschickt: Wie beurteilt er die Arbeit von Cibo, wie bewertet er das Problem rechter Schmierereien in seiner Gemeinde? Er ruft an und sagt, er wolle die Fragen nicht beantworten, spricht dann aber doch gut 40 Minuten. Man solle die Gemeinde bitte nicht auf das eine Thema reduzieren. Es sei auch so viel Gutes zu berichten, sagt er, die tollen neuen Radwege zum Beispiel oder die vielen Vereine. Hakenkreuze gebe es keine, und wenn doch mal eines auftaucht, würde die Gemeinde es sofort entfernen. Zudem, so würden böse Zungen behaupten, könnte es doch sein, dass Cibo selbst die Hakenkreuze sprühe, damit er Arbeit habe. Er selbst behaupte dies natürlich nicht.
Angesprochen auf diese Aussage, muss Cibo erst laut lachen, dann sagt er: “Sie haben meinen Freund umgebracht. Und ein Mensch von Kultur ist gar nicht in der Lage, eine Swastika zu zeichnen. Wo sind seine Beweise?” Er könne sich vorstellen, den Bürgermeister wegen Verleumdung anzuzeigen.
Nach etwa einer Stunde Arbeit am Eisentor ist Cibos Werk fertig: fünf Würste auf gelbem Kraut, gewürzt mit Wacholder und Lorbeer.
Sekunden, nachdem er seinen Namen gesprüht hat, fährt ein Polizeiauto vorbei. “Gehen wir”, sagt Cibo, packt seine Sachen und läuft zum Auto. “Drehen sie um?” Sie drehen um.
Carabinieri mit Sonnenbrillen steigen aus, sammeln unsere Ausweise ein, Personenkontrolle. Nach einigen Minuten rufen sie Cibo auf.
Ob er denn eine Autorisierung habe, hier zu sprühen, fragt einer der Beamten. “Ich bin autorisiert auf einer professionellen und bürgerlichen Ebene. 2019 dürfte es keine Hakenkreuze geben”, entgegnet Cibo, er wirkt geübt.
Ob er denn wisse, dass die Gemeinde dafür zuständig sei? “Ja, aber die Gemeinde kann nicht überall tätig werden. Und hier gehen doch so viele Kinder vorbei!”
Später wird er sagen, dass er einige Schlagworte habe, die gut funktionierten: Kinder; Gemeinde; Legalität.
Er verstehe ja seine künstlerische Ader, sagt der Polizist, aber die Gemeinde würde weißeln. Das, was er tut, sei Verunstaltung, auch wenn man es schön finden könne. Gern könne er zeigen, wie das Tor vorher ausgesehen hat, sagt Cibo. Und weil er nichts zu verbergen habe, sprühe er auch immer tagsüber. Er sei also ein Serientäter, fragt der Carabiniere und kann dabei ein Schmunzeln nicht verbergen. Er weist Cibo darauf hin, dass auch sie ihn anzeigen könnten, nicht nur der Besitzer des Tores – wenn sie wollten. Großes Interesse an Strafverfolgung strahlen sie jetzt aber nicht mehr aus.
Cibo bedankt sich für den Hinweis. Dann packt er seine Sachen und fährt weiter zu seinem nächsten Projekt.